Zeitzeugenbericht: Das Falkenauer Internierungslager

Das_Falkenauer Internierungslager

Zeitzeugenbericht von Walter Hamm – Haberspirk

Heute, genau vor 43 Jahren, man schrieb den 30. Mai, haben die Tschechen Vater und mich verhaftet. Wir waren zwar nicht die Ersten, aber eine der Ersten. Mein Haftbefehl, in dem ich später Einblick nehmen konnte lautete:

„Walter Hamm – früher Zelnitscheck – war ein Velky Turner. Über seine Tätigkeit im Protektorat ist nichts bekannt. Gegen eine Enthaftierung spricht nichts, der Bürger-meister Dražan.“

Damit war ich mit 25 Jahren der Jüngste meines Ortes, den die Tschechen inter-nierten.

Wie ging die Internierung vor sich?

Etwa gegen 21 Uhr, Vater und ich wollten gerade zu Bette gehen, hörten wir vorm Haus Stimmen und kurz darauf auch ein Poltern an der Haustüre. Ich machte auf, vor mir standen 6 Mann mit Maschinen-pistole und forderten mich auf, mit ihnen zu gehen.

Ich ging in die Küche um mich umzuziehen, die anderen kamen nach und forderten auch meinen Vater auf mitzukommen. Während wir uns umzogen, durchsuchten 5 Mann die Wohnung, rissen alles heraus und Mutter stand dabei und weinte. Vorm Haus bekamen wir beide eine Tracht Prügel von den draußen noch wartenden und ab ging’s in Richtung Gemeindekanzlei, wo ein vollbesetzter Omnibus bereits auf uns wartete. Auch hier gab es nochmals Schläge, stieß uns in den Omnibus und ab ging es ins Amtsgericht nach Falkenau. Jeweils 16 Mann kamen in eine Zelle, Vater war dabei. Wie die Heringe lagen wir nebeneinander. Auf Grund meiner Tschechischkenntnisse machte man mich zum Zimmerkommandanten, ich hatte für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen, aber auch Meldung zu machen wenn jemand bei der Tür hereinkam. Dies war in den ersten Tagen sehr häufig der Fall, großenteils waren es polnische Gefangene die uns die Schläge verabreichten. Täglich wurden mehr und mehr Landsleute interniert, die Gefängniszellen reichten nicht mehr aus und so kam es, daß man uns in das ehemalige Kriegsgefangenen-lager bzw. die früheren Kasernen verlegte.

Das Leben in der Kaserne

Von den Kasernen war nur die vordere linke geeignet für eine Unterbringung. Sie war gereinigt und sauber, alle anderen waren total verseucht. Die Gefangenen Russen schifften und schissen in die Töpfe, die Folge war, daß Millionen von Flöhen und anderem Ungeziefer sich dort aufhielt. Unsere Aufgabe war es, diese Kasernen zu reinigen und sie für weitere Häftlinge herzurichten.

Unsere Körper waren zerstochen, der ganze Körper war feuerrot, man hätte glauben können, wir wären alle an Typhus erkrankt.

Wir lagen alle auf Fußböden, die paar Habseligkeiten die wir hatten lagen zusammengerollt da und dienten uns als Kopfkissen. Erst waren wir 30 Mann, doch dann kamen immer mehr und mehr, bald waren es einige Hundert, darunter auch Frauen, meist Aufseherinnen aus den Konzentrationslagern.

Wir bekamen täglich für 16 Mann ein Stück Brot, mittags gab es eine Suppe aus dem Werk Unterreichenau auf der die Kartoffelschalen noch herumschwammen, am Abend etwas Käse oder Wurst. Am Abend, wenn alles anwesend war, meist nach dem Apell, kamen die berüchtigten Schläger und begannen zu prügeln. Dabei war es egal was du angegeben hast, ob du bei der SS, SA,Volkssturm oder als Mann beim BDM warst, du bekamst deine Hiebe. Die Schreie waren bis in die Nachbarhäuser zu hören, sie alle fühlten mit uns mit.

Welchen Einfluß nahmen die Amerikaner auf unser Lager?

Das Gebiet um Falkenau unterstand den Amerikanern. Sie scherten sich nichts um die Tschechen. Solange Nazi-Größen unter den Lagerinsassen lebten, kamen sie täglich um sie ausfindig zu machen. Die meisten von ihnen kamen nach Hammelburg und Grafenwöhr.

Da ich als Ober-Capo eingesetzt war und auch etwas englisch sprach, holten sie mich zu den Verhandlungen und fungierte so als Vertrauensmann. Eigentlich hätten sie niemanden gebraucht, der verhan-delnde Offizier sprach sehr gut deutsch und kannte sich auch in Sachen Partei und deren Formationen sehr gut aus. Immer wieder wurde ich von den Amerikanern ausgefragt, wie es im Lager zugeht, wie das Essen sei u.v.a. Doch konnte ich ihnen trauen? Doch eines Tages sagte ich ihnen die volle Wahrheit und sie reagierten prompt. Mehrere Offiziere kamen, photografierten alles, selbst das Essen wurde kontrolliert, sie gingen von Zimmer zu Zimmer und nahmen alles auf. Zwei Tage später wurde ein tschechischer Verwalter eingesetzt, ein gewisser Maloušek.

Aber auch die Amerikaner kamen nicht mehr, das Lager war durchgekämmt.

Die Entwicklung des weiteren Lagerlebens.

Es sind einige Wochen vergangen, die Polen, ehemals Gefangene, kamen in ihre Heimat, die Schlägerei hörte allmählich auf und das Lagerleben normalisierte sich. Die Wache unterstand einem alten Feld-webel der sehr human war, Dr. Schubert, dem das Lager anvertraut war, richtete sich außerhalb des Drahtzaunes ein.

Malousek kümmerte sich um die Verpflegung, Michl Andres war für die Arbeitskommandos verantwortlich und ich sorgte für Ruhe und Ordnung in den Baracken.

Der Bruder Zufall wollte es, daß ins Falkenauer Lager ein ehemaliger tschechischer Polizist strafversetzt wurde, den ich von Prag her kannte, er machte seinerzeit Dienst vorm Deutschen Haus in Prag, und ihm haben wir es zu verdanken, daß die Schlägerei aufhörte. Er brachte uns Musikinstrumente mit ins Lager, er sorgte auch dafür, daß mancher Dienst-tuende ein Auge zudrückte wenn es sein mußte. So zählte das Falkenauer Lager wohl mit zu den humansten im Tschechenstaate. Auch ein Arzt versorgte die Internierten außerhalb des Stacheldrahtes, allerdings immer nur in Begleitung eines Wachpostens.

Die Arbeitskommandos

Wie schon oben erwähnt, hatte die alltägliche Arbeitseinteilung Michl Andreas aus Lanz vorgenommen, ein ehemaliger Lokomotivführer. Gearbeitet wurde innerhalb des Drahtzaunes,aber auch außerhalb gab es viel zu tun. Die Gruppen wurden begleitet von Wachposten, die im Laufe der Zeit auch immer humaner wurden. So kam es vor, daß ihnen die Angehörigen Essen bringen durften, ja sogar einen kleinen Schwatz machen konnten. Im Lager selbst wurde aus einem

Pferdestall eine Küche installiert, ja selbst eine Schusterei, Schneiderei und Schreinerei gab es, Schlosserarbeiten wurden ausgeführt, der bekannte Holzschnitzer Dobner aus Königsberg durfte schnitzen, und manches andere wäre zu nennen.

So brachten die Aufräumungsarbeiten außerhalb des Lagers, aber auch innerhalb, so manche Abwechslung, die meisten nahmen sie gerne in Kauf.

Was erschwerte das Lagerleben?

Eimal die Ungewißheit, bleibt man im Lager oder nicht. Als Haberspirker mußte man mit einem längeren Prozeß in Eger rechnen, denn die Tage des 13. September 1938 waren für die Tschechen unvergessen. Keiner traute dem anderen mehr, denn niemand wußte, was dieser oder jener geschrieben hatte als alle Haberspirker niederschreiben mußten, was sie über den 13. September wußten. Jedem war das Hemd näher als der Rock. Aber auch den anderen ging es ebenso, auch sie wußten nicht was man ihnen vorwarf. Täglich waren neue Parolen zu hören, sie machten uns immer wieder nervös und unsicher. Wurde einmal einer entlassen, hofften 100 andere auf das gleiche Los, aber leider immer vergebens.

Erstaunlich war, daß in der Zeit, solange ich Ober-Capo war, nur ein Mann Selbstmord verübte und 5 Leute türmten.

Was machte das lnterniertsein noch erträglich?

Neben all dem Schlechten, gab es auch Stunden die man nie vergessen kann. So z.B.die erste heilige Messe im Lager, gehalten vom Quartian aus Falkenau. Was für ein Männerchor sang unter der Stabführung von Oberlehrer Köstler aus Lanz!

Aus hundert Männerkehlen ertönte der Gesang von Franz Schubert: „Wohin soll ich mich wenden“.

Doch noch ergreifender war es zu sehen, wie fast alle die aus der Kirche ausgetreten waren, die heilige Kommunion empfingen, sie wieder zur Kirche zurückkehrten.

Ebenso der Heilige Abend 1945! 30 junge Burschen im Alter von 14 bis 18 Jahren, sie wurden als Werwölfe eingefangen, feierten diesen Abend mit einem leeren Tannenbaum – übrigens das einzige Zimmer das überhaupt einen Baum hatte, sie legten eine Meldung hin beim Rapport, daß uns, die wir ihn abnahmen, die Tränen herunterliefen.

Unvergeßlich bleibt auch der Muttertag, wo mich früh um 6 Uhr 3 Lagerinsassen weckten und baten, ein Ständchen den Müttern singen zu dürfen. Wieviele Tränen flossen an diesem Tag! Diese 3 Tage seien stellvertretend für jene Tage genannt, an denen es uns besser ging.

Was gibt es über das Lager noch zu berichten?

Einmal die Tatsache, daß es neben unseren Landsleuten auch eine große Anzahl Reichsdeutsche gegeben hat. Die Kameradschaft erforderte es, mit ihnen zu teilen. Alles Essen das einging wurde auch auf sie mit verteilt, denn unsere Angehörigen durften alle 8 Tage Essen und Wäsche bringen.

Wenn die Not groß ist muß darauf geachtet werden, daß Aufgespartes nicht gestohlen wird. Ein einziger Fall ist mir bekannt, wo man einen Jungen erwischt hat. Er bekam vor allen Lagerinsassen eine Anzahl Stockschläge und dieses Schauspiel reichte, daß Diebstahl nicht mehr vorkam.

Unvergeßlich werden Vielen jene Stunden sein, wo ein Zithernspieler aus Haselbach seine Zither zu Gehör brachte, wo die Männer, teils auf Stroh, teils auf dem blanken Fußboden liegend an zu Hause dachten und ihnen dabei die Perlen von den Wangen rollten.

Auch ein Kind wurde im Lager gezeugt, auch das ist vorgekommen.

Vieles gäbe es noch zu berichten, so über Dr. Schubert, dem tschechischen Richter, über den ich einmal besonders berichten werde, über die vielen Einze1schicksale, über das Leben der Frauen im Lager u.v.a.m. So schwer die Monate im Internierungslager auch waren, wie immer im Leben vergißt man das Schlechte, was bleibt ist das Gute. Haß und Neid verschwinden nach mehr als 40 Jahren und das ist gut so. Was ich wollte war lediglich die Tatsache, jene Zeit nochmals Revue passieren zu lassen um sie der Nachwelt zu erhalten.

Eingereicht von Gerhard Hampl

Heimatverband der Falkenauer e.V.
Von Bezzel Straße 2, 91054 Erlangen

www.falkenau-ev.de

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