Märzgedenken: Der 4. März 1919 – vor 105 Jahren

Für die Zugehörigkeit zur Republik Deutsch-Österreich demonstrierten heute vor 105 Jahren, am 4. März 1919, die deutschsprachigen Altösterreicher in Böhmen und Mähren: Doch das Militär schoß in die Menge und tötete 54 Menschen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist eines der Grundrechte des Völkerrechts. Es besagt, daß ein Volk das Recht hat, frei über seinen politischen Status, seine Staats- und Regierungsform und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden. Dies schließt seine Freiheit von Fremdherrschaft ein. Dieses Selbstbestimmungsrecht ermöglicht es einem Volk, eine Nation bzw. einen eigenen nationalen Staat zu bilden oder sich in freier Willensentscheidung einem anderen Staat anzuschließen.

Der US-Präsident Thomas Woodrow Wilson schlug nach Ende des 1.Weltkriegs als Basis des Friedensschlusses sein bereits im Januar 1918 vorgestelltes 14-Punkte-Programm vor, das unter anderem das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Schaffung eines Völkerbundes zur Verhinderung weiterer Kriege vorsah.

Veränderungen prägten die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Europa. Am 28. Oktober 1918 riefen tschechische Politiker die Erste Tschechoslowakische Republik aus, die das Gebiet des heutigen Tschechiens sowie der Slowakei umfasste – beide Länder hatten bis dato zur k. u. k Monarchie gehört. Rund 3,5 Millionen deutschsprachige Altösterreicher – etwa ein Drittel der tschechoslowakischen Gesamtbevölkerung – waren so über Nacht gegen ihren Willen Bürger in einem neu geschaffenen Staat geworden.

Im Jahr 1918 besetzte tschechisches Militär die vornehmlich von den Sudetendeutschen bewohnten Gebiete. Deren politische Vertreter hatten zu Gewaltverzicht aufgerufen. Trotzdem kam es vereinzelt zu Morden durch tschechische Milizen – etwa in Mährisch Trübau, wo sogar Jugendliche der Gewalt zum Opfer fielen.

Dennoch verhielten sich die Altösterreicher weiterhin ruhig. Denn US- Präsident Woodrow Wilson hatte wenige Monate zuvor erklärt: „ Den Völkern Österreich-Ungarns, deren Platz wir im Kreis der Nationen gefestigt und gesichert sehen wollen, ist die Möglichkeit zu unbehinderter autonomer Entwicklung einzuräumen.“

Die überwiegende Mehrheit der deutschsprachigen Menschen in Böhmen und Mähren schenkte der Ankündigung Glauben und wollte einen Verbleib der von ihnen bewohnten Gebiete bei Österreich – genauer gesagt bei der am 21. Oktober 1918 provisorisch proklamierten Republik Deutsch- Österreich. Am 4. März 1919 tagte in Wien die konstituierende Sitzung dieses neuen Staates. Daran sollten auch die früheren Reichsratsabgeordneten aus den Regionen Böhmen und Mähren teilnehmen.

Eröffnung der Sitzung durch Alterspräsident Anton David. Auf der Regierungsbank v.l.: Egon von Pflügl, Heinrich Mataja, Johann Zerdik, Josef Stöckler, Otto Steinwender, Karl Renner, Karl Urban, Rafael Pacher, Ferdinand Hanusch, Julius Roller und Johann Löwenfeld-Russ.

Doch die tschechoslowakische Regierung in Prag verweigerte den Delegierten die Teilnahme. Daraufhin riefen die Sozialdemokraten unter ihrem Vorsitzenden Josef Seliger zum Generalstreik und zu einer Volksabstimmung über die Zukunft der strittigen Landesteile auf. Die Demonstrationen fanden in allen Bezirksstädten der deutschsprachigen Gebiete Böhmens, Mährens und Österreichisch- Schlesiens statt.

In vielen Orten – unter anderem in Karlsbad oder Reichenberg (Liberec) – schoss das Militär in die Menge. Am Ende des Tages lagen 54 Männer, Frauen und Kinder tot in ihrem Blut: 25 in Kaaden, 16 in Sternberg, 6 in Karlsbad, 2 in Arnau, 2 in Eger, 2 in Mies und einer in Aussig. Unter den Toten waren 20 Frauen und Mädchen, ein 80-Jähriger und Buben im Alter von 14, 13 und 11 Jahren. Weitere 750 Menschen waren waren verletzt. Die „ Neue Zürcher Zeitung“ schrieb am 7. März von einer „tschechischen Gewalt- und Schreckensherrschaft“. Damit waren sämtliche Bestrebungen nach Autonomie niedergeschlagen. 20 Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus, an dessen Ende die Vertreibung der deutschsprachigen Menschen aus dem Land stand.

Text: Jürgen Tschirner (gekürzt): Patrick Huber (Kronen Zeitung), Seliger-Gemeinde, Wikipedia

In der Woche des 4. März 2024 finden Gedenkveranstaltungen in vielen Städten in Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik statt, zum Beispiel am 9.3.2024 am Friedhof der Stadt Kaaden eine gemeinsame Gedenkfeier der früheren und jetzigen Bewohner Kaadens mit dem Heimatkreis Kaaden-Duppau und der Stadt Kaaden / Mesto Kadan sowie in München, Stuttgart und Wien. Dort auch mit dem UrEnkel des letzten österreichischen Kaisers. Eine Zusammenfassung erhalten sie im Heimatmagazin BÖHMISCHE HEIMAT / Kaadner Heimatbrief.

Bekanntmachung des Stadtrates der Stadt Kaaden

Die Kaadner Bürgerinnen und Bürger, die am 4. März 1919 den Tod fanden: Andreas Benedikt (46), Erich Benesch (29), Ludmilla Dolezal (25), Wilhelm Fügert (21), Ferdinand Kumpe (14), Karl Lochschmidt (11), Marie Loos (51), Berta Maier (39), Oskar Maier (16), Paul Massl (19), Hugo Nittner (16), Katharina Tschammerhöll (19), Theodor Romig (18), Anna Rott (40), Julie Schindler (16), Paula Schmidl (14), Franz Schneider (52), Marie Stöckl (23), Marianne Sturm (24), Franziska Paßler (46), Karl Tauber (13), Aloisia Weber (19), Josef Wolf (51) und Marie Ziener (17)

Wilson

Thomas Woodrow Wilson (* 28. Dezember 1856 in Staunton, Virginia; † 3. Februar 1924 in Washington, D.C.) war ein US-amerikanischer Politiker der Demokratischen Partei und von 1913 bis 1921 der 28. Präsident der Vereinigten Staaten.

Nationalversammlung

Erste Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung für Deutschösterreich am 4. März 1919

Eröffnung der Sitzung durch Alterspräsident Anton David. Auf der Regierungsbank v.l.: Egon von Pflügl, Heinrich Mataja, Johann Zerdik, Josef Stöckler, Otto Steinwender, Karl Renner, Karl Urban, Rafael Pacher, Ferdinand Hanusch, Julius Roller und Johann Löwenfeld-Russ.

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